Grafisches Gewerbe
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Nachfrage nach Druckerzeugnissen zu. Den Hintergrund dazu bildeten die politischen Umwälzungen, technische Innovationen, höhere Einkommen und die obligatorische Schulbildung. So entstanden vor allem in den grösseren Städten Druckereien und Verlage. Der Aarauer Johann Jakob Christen (1773–1852) gründete 1836 die erste Buchdruckerei in Thun. Sie stellte verschiedene Produkte her wie Formulare, Werbeanzeigen, Broschüren oder Bücher. Das Geschäft umfasste später auch eine Buch- und Schreibmaterialienhandlung sowie eine Leihbibliothek. Ab 1838 gab Christen auch eine Zeitung heraus, das «Thuner Blatt». 1849 übernahm sein Schwiegersohn Theodor Rippstein (1821–1901) die Firma, 1902–1907 ging sie an Oscar Hopf (1876–1945) über. Ab 1907 leitete der aus Basel zugezogene Carl Muntwyler (1870–1937) die Buchdruckerei und den Verlag. Nach dessen Tod übernahm Adolf Schär (1889–1958) die Firma und führte sie unter seinem Namen erfolgreich weiter. Sein Nachfolger war ab 1958 Alfred Blaser-Schär (1913– 2005). Er modernisierte den Betrieb und wandelte ihn 1974 in eine Aktiengesellschaft um. 1989–1991 errichtete die Schaer AG in Uetendorf ein neues Druckzentrum für den Zeitungsdruck, wo sie bis im Jahr 2000 das «Thuner Tagblatt» herstellte. Diesen Standort verkaufte sie 2009 an die Firma Schläfli und Maurer in Interlaken. 1998 übernahm die Berner Tagblatt Medien AG die Aktienmehrheit der Schaer AG, seit 2007 gehört die Firma zum Tamedia-Konzern.43
Der zweite wichtige Betrieb des grafischen Gewerbes in Thun geht auf Eugen Stämpfli (1839–1911) zurück, der 1861 nach Thun kam und zwei Jahre später eine bestehende Buchhandlung an der Hauptgasse übernahm. 1866 kaufte er zudem eine Thuner Buchbinderei und 1874 die Druckerei, die das «Geschäftsblatt für den oberen Teil des Kantons Bern» produzierte und in den 1910er-Jahren knapp 20 Arbeiter beschäftigte. 1904 trat Sohn Willy Stämpfli (1873–1950) in die Fussstapfen des Firmengründers und betätigte sich als Verleger und Drucker. 1932 verkaufte er die Firma an den aus Altstätten stammenden Buchdrucker Jakob Vetter (1901–1953). Dieser gründete die Geschäftsblatt AG und verlegte den Sitz vom Rathausplatz an die Seestrasse, wo sich die Firma Vetter Druck AG bis heute befindet. Sie gab 1957–1967 allein und ab 1981 gemeinsam mit der Schaer AG den «Thuner Amtsanzeiger» heraus.44
Inserat des Warenhauses Balthasar- Bischoff im «Täglichen Anzeiger», Dezember 1903. Die Druckerei und der Verlag von Oscar Hopf gab diese Zeitung damals heraus, in der auch das lokale Gewerbe seine Werbung platzierte.
Vor Weihnachten erschienen besonders viele Inserate.
Louis Krebser (1858–1940) übernahm 1887 die Buchhandlung von Eugen Stämpfli und führte sie weiter. 1932 bezog die Firma ein Ladenlokal im Neubau der Spar- und Leihkasse Thun im Bälliz, wo sie bis heute unter der Leitung der vierten Generation Krebser existiert. Der Enkel des Gründers, Markus Krebser (geboren 1936), betätigte sich als Autor, Verleger und Galerist und kümmert sich um die Dokumentation der Thuner Geschichte; 2004 erhielt er dafür den Thunpreis.45
In der Region Thun war der Markt für Druckereien und andere grafische Unternehmen nicht unendlich gross. Deshalb vereinten die beiden wichtigsten Thuner Firmen bis ins 20. Jahrhundert verschiedene Produkte und Dienstleistungen unter einem Dach: Sie stellten nicht nur Drucksachen her, sondern führten auch eine Buchhandlung und betätigten sich als Verleger und Redaktoren. Als das Auftragsvolumen der Branche mit dem Aufkommen der Digitaltechnik in den 1980er-Jahren sank, suchten sie Kooperationen, um das Überleben ihrer Firmen zu sichern.
Alle Thuner Unternehmen dieser Branche waren nicht sehr gross, sie gehörten auch nie zu den grössten Betrieben der grafischen Industrie im Kanton Bern. Ausserdem war das grafische Gewerbe Thuns volkswirtschaftlich eher unbe- deutend, da nie mehr als drei Prozent der Beschäftigten in diesem Bereich tätig waren. In den 1970er-Jahren erreichte die Zahl der Beschäftigten mit rund 400 das Maximum. Die Branche war für Thun insofern wichtig, weil die Drucksachen als Werbeträger für die Stadt über die Region hinaus wirksam waren.46