1914–1945: Zwei Kriege und überfällige Reformen
Obwohl sich die Schweiz nicht am Ersten Weltkrieg beteiligte, war sie von Versorgungsengpässen und von der wirtschaftlichen Krise stark tangiert. Auch Thun war betroffen. Gleichzeitig führten die Präsenz des Waffenplatzes und der Boom in der Rüstungsindustrie zu Vollbeschäftigung und neuen Arbeitsplätzen. Dies verschärfte die schon bestehende Wohnungsnot. Die Stadt richtete Notwohnungen ein und baute erste gemeindeeigene Wohnhäuser. Am Ende des Krieges brach 1918/19 die kriegsbedingte Produktion ein und die Quote der Arbeitslosen schnellte nach oben.
Die neue Bahnhofbrücke wird im Juni 1923 einer Belastungsprobe ausgesetzt. Beobachtet von Passantinnen und Passanten, überqueren eine Dampfwalze und ein Wassersprengwagen der STI die Brücke.
Nach dem Bau des neuen Bahnhofs musste die alte Brücke ersetzt werden, weil es an dieser Stelle eine leistungsfähigere Verbindungsachse in die Innenstadt brauchte.
Die Probleme am Ende des Krieges legten die Schwächen im politischen und sozioökonomischen System der Stadt offen: Ihr Gedeihen hing zum einen überaus stark vom Militär und seinen Betrieben ab, zum andern war die Gemeindeorganisation mit dem fünfzehnköpfigen Gemeinderat wenig effizient. Überdies erforderten die Eingemeindungen von Goldiwil und Strättligen eine bessere Verwaltungsstruktur. Die Behörden reagierten 1918/19 mit einer tiefgreifenden Reform: Der Gemeinderat wurde auf sieben Mitglieder verkleinert und das Gemeindepräsidium in ein bezahltes Vollamt umgewandelt. Die übrigen Gemeinderäte arbeiteten im Nebenamt für die Stadt. Zudem führte Thun anstelle der Gemeindeversammlung ein Stadtparlament sowie Urnenabstimmungen ein und professionalisierte die Verwaltung, die sich in den folgenden Jahrzehnten um den sozialen Wohnungsbau, den Ausbau der Fürsorge und um weitere Projekte der öffentlichen Hand kümmerte. Die Stadt Bern hatte die gleichen Reformen des politischen Systems bereits in den 1880er-Jahren umgesetzt. Thun zog nun nach.
Gegenüber Entscheiden der Armee, des Kantons oder der Privatwirtschaft verhielten sich die lokalen Akteure weiterhin passiv. Nur selten schöpften sie ihren Spielraum aus. Einzig die Stadtentwicklung gestalteten die Behörden nun aktiver mit. Die Stadt errichtete 1922 beim Lachenkanal ein erstes Seebad, das 1932/33 zum Strandbad erweitert wurde; 1925 kaufte sie das Schloss Schadau, um hier einen öffentlichen Park am See einzurichten. Ein Grossprojekt war die seit Langem geplante Verschiebung des Bahnhofs: Gemeinsam mit den SBB und der BLS realisierte die Stadt 1920–1923 den neuen Bahnhof, zu dem auch der Schifffahrtskanal gehörte, der von Arbeitslosen 1924/25 im Rahmen einer Notstandsaktion ausgehoben wurde. In der Zwischenkriegszeit baute die Stadt ausserdem mit anderen Gemeinden und Verkehrsbetrieben den öffentlichen Verkehr in der Region aus. Viele Strassen in Stadtnähe und die wichtigeren Quartierverbindungen erhielten nun eine Teerung, damit sie dem motorisierten Verkehr standhielten.
Der Anlass ist ein Treffpunkt von Jägern und Pelzhändlern, die hier Felle von Wildtieren feilbieten und Jagdtrophäen präsentieren. Der Brauch steht seit 2012 auf der Liste der lebendigen Traditionen des Kantons Bern.
Mit dem Landesstreik 1918 verschärften sich bis in die 1960er-Jahre die Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum. Zudem spalteten sich 1918 konservative Kräfte vom Freisinn ab und gründeten die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB). Die Macht war in Thun danach gleichmässig auf die grossen Parteien verteilt: Von 1919 bis zum Zweiten Weltkrieg besetzten die SP, die FDP und die BGB (die spätere SVP) im siebenköpfigen Gemeinderat immer mindestens je zwei Sitze.
Die Frauen wurden in der Zwischenkriegszeit etwas besser ins öffentliche Leben integriert. Ab 1917 waren sie in der Schul- und der Fürsorgekommission der Stadt vertreten, nach 1930 auch in den Gremien der reformierten und der christ-katholischen Kirche. 1930 entstand die Thuner Ortsgruppe des Schweizerischen Frauenstimmrechtsvereins. Frauen wurden auch im Sport aktiver: Innerhalb der Turnvereine entstanden Damen- und Mädchenriegen, die allerdings mehr die Gymnastik als den Wettkampf pflegten. Im modernen Strandbad tummelten sich die Frauen und Mädchen genauso wie die Männer und Buben. Die Geschlechtertrennung, die im Flussbad Schwäbis bis 1939 galt, gab es hier nicht.
Arbeiter der Munitionsfabrik montieren und verpacken in den 1940er-Jahren Minenwerfermunition und Stahlgranaten für die Infanterie.
Dies geschah in einem Gebäude auf dem Ruag-Areal, das heute nicht mehr existiert.
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre führte auch in Thun zu Arbeitslosigkeit, doch ab 1937 profitierten die Militärbetriebe von der Aufrüstung. Deshalb herrschte in Thun während des Zweiten Weltkriegs Vollbeschäftigung. Bei der Bevölkerungszahl verzeichnete die Stadt ausser einem kleinen Dämpfer um 1930 keine krisenbedingten Einbrüche, wie sie in anderen Industriestädten wie Biel, St. Gallen oder La Chaux-de-Fonds auftraten. Die Thuner Stadtbevölkerung nahm stetig und stärker zu als in vergleichbaren Orten. Da erneut Wohnungsnot herrschte, subventionierte die Stadt ab 1940 den Wohnungsbau, förderte Wohnbaugenossenschaften und baute kommunale Wohnsiedlungen.
Im Zweiten Weltkrieg war Thun von der Mobilisation der Armee besonders betroffen. Die Zahl der hier stationierten Militärangehörigen nahm stark zu. Diese belegten auch Räume in Schulhäusern und Hotels. Die Gemeinde musste im Rahmen der Kriegswirtschaft zusätzliche Aufgaben übernehmen, den Vollzug der Lebensmittelrationierung überwachen und Landwirtschaftsflächen für den Mehranbau bereitstellen.3