Die demokratiepolitische Modernisierung von 1918
Am 8. Oktober 1918 verabschiedete die Gemeindeversammlung Thun eine neue Ordnung, mit der strukturelle und demokratiepolitische Mängel beseitigt wurden. Sie folgte dem neuen kantonalen Gesetz von 1917 über das Gemeindewesen, welches die Schaffung eines Parlamentes ermöglichte. Im Dezember 1918 fanden Wahlen für den Gemeinderat und für das neue legislative Organ, den Stadtrat, statt. Der neu gewählte freisinnige Stadtpräsident, Paul Kunz (1886–1967), begründete im Januar 1919 die vorangegangene Reform mit der Notwendigkeit rationalerer und demokratisch stärker abgestützter Entscheide für eine Stadt, die in vielerlei Belangen gewachsen war und deswegen auch komplexere Probleme zu bewältigen hatte.
Das 1875 von der Baugesellschaft Thun erstellte Grandhotel Thunerhof, um 1900. Ab 1943 bezog die Thuner Stadtverwaltung den Thunerhof, seit 1948 ist auch das Kunstmuseum darin untergebracht.
Deshalb wurde die Gemeindeversammlung durch eine im Proporzverfahren gewählte Legislative, den 30-köpfigen Stadtrat, ersetzt. Über wichtige Geschäfte befanden die Bürger von nun an in Urnenabstimmungen. Wegen der Eingemeindung Strättligens wuchs der Stadtrat schon 1920 auf 40 Mitglieder an. Ihm oblag die politische Aufsicht, er prüfte die Verwaltungs- und Rechnungsführung des Gemeinderates, wählte Organe wie die Kommissionen sowie die Beamten, etwa den Stadtschreiber. Anstelle der bis anhin 13 Mitglieder zählenden Exekutive führte nun der siebenköpfige Gemeinderat, der vom vollamtlichen Stadtpräsidenten geleitet wurde, die Geschäfte. Den Gemeinderat und den Stadtrat unterstützten zudem zahlreiche Kommissionen und Fachausschüsse. Die Neuorganisation sah auch ein Vorschlagsrecht vor: Mindestens ein Zehntel der Stimmberechtigten konnte vom Stadtrat die Behandlung eines Geschäfts verlangen.44