1970–2018: Überwindung der Krisen, Entwicklung zur Kulturstadt
Um 1970 begannen die Thuner Behörden die Stadtentwicklung aktiver zu planen, um die überhitzte Bautätigkeit in geregelte Bahnen zu lenken und die negativen Konsequenzen des motorisierten Verkehrs abzudämpfen. Sie schufen 1972 das Planungsamt und später die regionale Wirtschaftsförderung. Diese Instrumente kamen der Stadt nach dem Beginn der Wirtschaftskrise 1973/74 zugute, da sie bei der Bekämpfung der Krisenfolgen nützlich waren. Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen war auch ein Ausbau der sozialen Dienste nötig. Ab den 1980er-Jahren kam als neue Herausforderung hinzu, dass Menschen aus weit entfernten Ländern in der Schweiz um Asyl nachsuchten und Unterstützung benötigten.
In den Jahren um 1970 entstand ein neues gesellschaftliches Bewusstsein, das von mehreren gesellschaftspolitischen Bewegungen inspiriert war: Die 1968er-Bewegung stellte die rigiden gesellschaftlichen Konventionen infrage und forderte die politischen und gesellschaftlichen Autoritäten heraus. Die negativen Auswirkungen des Konsumverhaltens auf die Umwelt beunruhigten viele Menschen, die sich in der Umweltbewegung engagierten. Eine neue Frauenbewegung erkannte, dass die politische und rechtliche Gleichstellung der Geschlechter nicht unbedingt eine Gleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft bedeutete. Geschlechterrollen wurden kritisch hinterfragt und öffentlich diskutiert; die Jugend und die Kulturschaffenden forderten Räume, in denen sie selbstbestimmt ihre Ideen verwirklichen konnten.
Demonstration in der Hauptgasse gegen die drohende Schliessung des Jugendhauses im Jahr 1981. Seit 1970 gab es in Thun das Jugendhaus als Ort der Selbstverwirklichung. Daraus entstand 1986 die Café Bar Mokka, ein Musikclub mit überregionaler Anziehungskraft. Fotografie von Christian Helmle.
In den Jahren um 1970 entstand ein neues gesellschaftliches Bewusstsein, das von mehreren gesellschaftspolitischen Bewegungen inspiriert war: Die 1968er-Bewegung stellte die rigiden gesellschaftlichen Konventionen infrage und forderte die politischen und gesellschaftlichen Autoritäten heraus. Die negativen Auswirkungen des Konsumverhaltens auf die Umwelt beunruhigten viele Menschen, die sich in der Umweltbewegung engagierten. Eine neue Frauenbewegung erkannte, dass die politische und rechtliche Gleichstellung der Geschlechter nicht unbedingt eine Gleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft bedeutete. Geschlechterrollen wurden kritisch hinterfragt und öffentlich diskutiert; die Jugend und die Kulturschaffenden forderten Räume, in denen sie selbstbestimmt ihre Ideen verwirklichen konnten.
Wie in anderen Städten entstanden in Thun Gruppierungen und Parteien, die neue Themen aufgriffen und die politische Szene bereicherten. Einige nahmen sich der Umweltpolitik an, andere siedelten sich am rechten Rand des Parteienspektrums an. Die grossen Parteien verloren an Unterstützung und pflegten nach 1970 einen konsens- und sachorientierten Stil.
Die Zahl der Freikirchen und nichtchristlichen Religionsgemeinschaften nahm zu, ebenso die Anzahl der Menschen, die sich von jeder Glaubenspraxis abwandten. Das Angebot an Ausstellungen, Konzerten und Theater wurde in Thun vielfältiger und beschränkte sich nicht mehr auf den klassischen Angebotskanon, sondern beinhaltete auch Openair-Konzerte und Events von jungen Kulturschaffenden. Das sportliche Spektrum erweiterte sich ebenfalls, beispielsweise durch Windsurfen und asiatische Kampfsportarten, zudem bildeten sich Frauenteams auch in den kampf- und körperbetonten Mannschaftssportarten Fussball, Handball und Eishockey.
Die um 1990 einsetzende Wirtschaftskrise verschärfte sich in Thun durch lo- kale Ereignisse: Die Rüstungsbetriebe mussten im Zuge des Zusammenbruchs des Ostblocks und der folgenden Abrüstung massiv Arbeitsplätze abbauen. Hinzu kamen 1991 die Schliessung der Firma Selve sowie der Zusammenbruch der Spar- und Leihkasse Thun. Die Stadtbehörden waren stark gefordert, mit Wirtschaftspolitik und vorausschauender Planung Thun als Wirtschafts- und Lebensraum attraktiv zu erhalten. Die Stadtregierung gründete 1994 mit den umliegenden Gemeinden den Wirtschaftsraum Thun und versuchte aktiver, ihre Interessen im Verhältnis zum Bund und zur Armee durchzusetzen. Sie forderte vom Bund, in Thun nichtmilitärische Arbeitsplätze anzusiedeln – allerdings mit wenig Wirkung. Erfolgreicher war die gemeinsame Umnutzung des Ruag-Areals, wo ab den 2000er- Jahren private Firmen in leer stehende Armeeliegenschaften einzogen. Damit wurde das hermetisch abgeschlossene Armeeareal etwas durchlässiger, doch das Image der Militärstadt wurde Thun nicht so schnell los. Noch 1997 schrieb der Journalist Roger Anderegg: «Thun wirkt auf Nichtuniformierte wie eine militärisch besetzte Frontstadt unter ständiger Feindeinwirkung.»5
Soldaten am Bahnhof 1986. Die Präsenz der Armee prägt das Bild Thuns als Garnisonsstadt. Wenn die Rekrutenschulen und Wiederholungskurse statt- finden, sind zu den Ausgangszeiten und bei der Abreise viele Soldaten in den Strassen und am Bahnhof unterwegs. Fotografie von Christian Helmle.
Erst nach der Wende zum 21. Jahrhundert gelang es, den Wirtschaftsstandort Thun zu stabilisieren und die Stadt als beliebten Wohnort am See und in der Nähe der Alpen zu positionieren. Thun profitierte von der grösseren Mobilität der arbeitenden Bevölkerung und konnte sich dank Baulandreserven und innerer Verdichtung als Wohnstadt im Einzugsgebiet der Stadt Bern profilieren. Thun überstand die Krise von 1991 erstaunlich gut. Wie die Geschichte anderer Schweizer Städte zeigt, ist dies nicht selbstverständlich: St. Gallen er- holte sich erst nach Jahrzehnten vom Zusammenbruch der Stickereiindustrie um 1914. Und die Städte Biel und La Chaux-de-Fonds kämpften in den Krisen der Uhrenindustrie mit langwierigen sozialen und wirtschaftlichen Problemen.6
Thuner Produkte, Institutionen und Firmen tragen dazu bei, der Stadt eine positive Ausstrahlung über ihre Grenzen hinaus zu vermitteln. Lange Zeit hatten der Gerberkäse, die Selve oder die Seilbahnen der Firma Habegger diese Wirkung. Heute sorgen die Baufirma Frutiger oder die AEK Bank dafür, Thun über die Region hinaus bekannt zu machen. Positive Akzente setzten zudem Akteure aus Kultur und Sport, so der FC Thun, der national in der obersten Liga mitspielt und 2005 mit der Teilnahme an der UEFA-Champions-League auch international Beachtung fand. Die temporäre Partymeile auf dem zwischengenutzten Selve-Areal lockte junge Menschen von weither an; unterstützt durch die Stadt, erhöhten Kulturinstitutionen wie die Café Bar Mokka, das Kunstmuseum, das Kleinkunstfestival, die Schlossspiele, die Thunerseespiele oder das Kultur- und Kongresszentrum die Attraktivität Thuns und machten den Ort zur aufblühenden Kulturstadt.