Energieversorgung
In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in vielen Städten Gaswerke, die Gas zur Beleuchtung von Strassen und repräsentativen Räumen lieferten. Der Bau eines Gaswerks kam aber erst mit dem Anschluss der Stadt ans Eisenbahnnetz in Frage, denn nur die Bahn konnte den Rohstoff zur Gasproduktion, die Kohle, kostengünstig anliefern. Wie vielerorts war es auch in Thun ein Geschäftsmann, nämlich Ludwig August Riedinger (1809–1879) aus Augsburg, der das Gaswerk baute, und zwar auf einem Grundstück, welches ihm die Gemein- de an der Scheibenstrasse zur Verfügung stellte. Im Herbst 1862 nahm das Gaswerk den Betrieb auf. 55 Gaslampen erhellten nun die Gassen der Innenstadt – «wirklich ein auffallender Unterschied, der sich gegenüber dem bisherigen Oellicht bemerkbar machte»62, so der Kommentar des «Thuner Blatts». Nach gut drei Betriebsjahren kaufte die Stadt dem Betreiber das Gaswerk ab. In den folgenden Jahrzehnten installierte sie zusätzliche Strassenlaternen und verkaufte immer mehr Gas an Private, die damit ihre Lokale und Geschäfte beleuchteten.
Als um 1880 eine anwendungstaugliche elektrische Glühbirne auf den Markt kam, war absehbar, dass die Gasindustrie das Beleuchtungsgeschäft verlieren würde, denn nun entstanden erste Anlagen zur Stromproduktion. Das Gaswerk Thun reagierte, indem es ab den 1880er-Jahren die Preise senkte und erfolgreich das Kochen und Heizen mit Gas propagierte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verkaufte das Werk mehr Gas für diese neuen Anwendungsbereiche als für Beleuchtungszwecke. Um den weiterhin steigenden Absatz zu bewältigen, ersetzte Thun 1913 das alte Gaswerk durch einen leistungsfähigeren Neubau.
Das Gaswerk Thun besass einen eigenen Eisenbahnanschluss und bestand aus einem mit Hochkamin ausgestatteten Ofenhaus, wo das Gas durch Verkokung von Steinkohle gewonnen wurde, und einem Gasspeicher mit 500 Kubikmetern Nutzinhalt.
Die Gasarbeiter – hier posiert die Belegschaft im Ofenhaus – verrichteten körperliche Schwerarbeit. Sie arbeiteten zum Teil in sehr heissen Räumen und waren ständig Kohlestaub und Abgasen ausgesetzt. Fotografie, um 1911.
Die Stromproduktion nahm die Stadt von Anfang an selbst an die Hand. 1891 installierte sie im Grundwasserpumpwerk am Gewerbekanal einen Gleichstromdynamo, der überschüssige Wasserkraft in elektrische Energie umwandelte. Weil die Nachfrage schnell stieg, baute die Gemeinde 1895/96 ein Elektrizitätswerk, das ebenfalls mit Wasser des Gewerbekanals betrieben wurde, und fasste die Gas-, Wasser- und Stromversorgung in den Licht- und Wasserwerken Thun zusammen.63 Das elektrische Licht setzte sich schnell durch, zudem stellten immer mehr Gewerbetreibende auf den elektrischen Antrieb um. Deshalb baute Thun 1906/07 an der Scheibenstrasse eine Dampfzentrale, wo mit einer Dampfturbine und einem daran gekoppelten Generator Strom produziert wurde, der zur Deckung von Verbrauchsspitzen gedacht war. Weil die Dampfzentrale schon bald im Dauerbetrieb stand, erstellte die Stadt 1917 ein weiteres Elektrizitätswerk am Gewerbekanal.
Die Kohleknappheit in den zwei Weltkriegen setzte dem Gaswerk zu. Es musste die ausländische Steinkohle durch schweizerische Braunkohle, Holz, Torf und Altpapier ersetzen, was minderwertiges Gas ergab. Die Haushalte, die es sich leisten konnten, stiegen deshalb auf das Kochen mit Strom um. Ab 1945 verdrängte die Elektrizität das Gas aus den Haushalten, was sich auch in Thun in der Stagnation des Gasabsatzes zeigte. Um Gas billiger abgeben zu können, stellte das Gaswerk 1967 auf die kostengünstigere Produktion von Leichtbenzin-Spaltgas um. 1981 wurde Thun an das Erdgasnetz angeschlossen und gab die eigene Gasproduktion auf. Weil es gelang, Erdgasheizungen als umweltschonendere Alternative zu den Ölheizungen zu etablieren, vervielfachte sich der Gasabsatz in den folgenden Jahrzehnten.
1959–1964 baute die Stadt ein weiteres Elektrizitätswerk, welches das Gefälle der Aare im Schwäbis ausnützte. Das Wehr nahm die ganze Aarebreite ein und war 1961 fertig erstellt.
Bis 1964 wurden die hydroelektrischen Maschinen etappenweise in Betrieb genommen. Ausschnitt aus einer Luftaufnahme von Hans Dubach, 1963.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Strombedarf stark zu. Deshalb erstellte die Stadt 1959–1964 ein Elektrizitätswerk, das mit Aarewasser betrieben wurde und dessen Wehr die Aare aufstaute. Das gesellschaftliche Umdenken in Umweltfragen nahmen die Energiebetriebe 1981 mit der Schaffung einer Energieberatungsstelle auf. 1994 ging das Kraftwerk AAREwerk94 am Gewerbekanal in Betrieb, das 2002 das Zertifikat «naturemade star» erhielt und damit die strengsten ökologischen Auflagen in Europa erfüllte. Seit 2007 ist der gesamte Wasserstrom, der in Thun produziert wird, mit diesem Label zertifiziert. Zudem installierte das Elektrizitätswerk ab 1993 mehrere Solaranlagen. 2001 wurden die Energiebetriebe aus der Stadtverwaltung ausgegliedert und gemeinsam mit dem Wasserwerk in die Energie Thun AG überführt, deren Alleinaktionärin die Stadt ist.64