Sozialer Wohnungsbau und Wohnbaugenossenschaften
In Thun waren sowohl der Bau von preisgünstigen Wohnungen durch die Gemeinde als auch die Entstehung der Wohnbaugenossenschaften eng mit der Entwicklung der Rüstungsindustrie verbunden. In diesem Wirtschaftsbereich entstanden während der beiden Weltkriege zahlreiche neue Arbeitsplätze, doch wurde gleichzeitig kaum neuer Wohnraum geschaffen. Für die neu zugezogenen Arbeiterfamilien war es deshalb häufig schwierig, eine bezahlbare Unterkunft zu finden.
Um die Wohnungsnot zu lindern, baute die Stadt 1918/19 erste gemeindeeigene Wohnhäuser im Lerchenfeld und mietete mehrere Häuser in der Innenstadt, die sie an obdachlose Familien weitervermittelte. 1921 kaufte sie zudem die Pension Itten an der Länggasse, wo sie Notwohnungen einrichtete. In den 1920er-Jahren entspannte sich die Situation vorübergehend, doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kehrte die Wohnungsnot zurück. Die Stadt quartierte erneut Familien in Notunterkünften ein, baute 1942–1962 auf der Ittenmatte und im Lerchenfeld weitere kommunale Siedlungen und realisierte in mehreren Etappen die Gemeindesiedlung Neufeld. Damit vergrösserte sich der städtische Immobilienbesitz markant: 1920 gehörten der Stadt 30 Wohnungen, 1950 waren es gut zehnmal mehr. Der Wohnungsbau durch die Gemeinde blieb in Thun trotzdem marginal. Aus Kostengründen zog es die Stadt vor, private und genossenschaftliche Bauvorhaben mit verschiedenen Massnahmen zu fördern, statt gemeindeeigene Siedlungen zu erstellen.
Der Thuner Architekt Edgar Schweizer (1894–1977) baute 1943–1945 die Gemeindesiedlung im Lerchenfeld. Es war eine typische Arbeitersiedlung mit 13 Doppelhäusern.
Zu jedem Haus gehörten ein grosser Garten zur Selbstversorgung mit Gemüse sowie ein Unterstand unter dem Dach, wo ein Holzplatz, ein Kleintierstall und ein Waschtrog untergebracht waren. Um 1995 wurden die Häuser abgebrochen; heute steht hier eine Siedlung mit Wohnblöcken. Fotografie aus den 1950er-Jahren.
Ab 1919 konstituierten sich erste Wohnbaugenossenschaften, die im Westquartier und im Lerchenfeld Siedlungen bauten. Die Stadt stellte ihnen Grundstücke im Baurecht zur Verfügung und beteiligte sich zum Teil an den Baukosten. 1943–1960 entstanden dank städtischer Unterstützung weitere Wohnbaugenossenschaften und die schon existierenden erweiterten ihr Wohnungsangebot. In der Regel erstellten sie ihre Siedlungen im Baurecht auf städtischem Boden, vorzugsweise im Westquartier, Neufeld und Dürrenast. Die Genossenschaften waren ein wichtiger Faktor im Thuner Wohnungsbau: 1953 beispielsweise bauten sie fast 60 Prozent aller Neuwohnungen, und weil sie auch weiterhin günstigen Wohnraum anbieten konnten, behielten sie ihre Bedeutung bis ins 21. Jahrhundert hinein. 2015 gab es 16 Wohnbaugenossenschaften auf städtischem Boden, die gut 10 Prozent aller Wohnungen in der Gemeinde Thun besassen. Gemäss der 2016 verabschiedeten Wohnstrategie 2030 will der Gemeinderat gemeinsam mit den Genossenschaften den gemeinnützigen Wohnungsbestand erneuern und zudem die Gründung neuer Wohnbaugenos- senschaften fördern.11