Politische Grabenkämpfe um 1850
Mit Blick auf die Grossratswahlen vom 5. Mai 1850 herrschte zwischen den Radikalen und den Konservativen eine angespannte Atmosphäre. Ein Höhepunkt der damaligen politischen Auseinandersetzungen im Kanton waren die gleichzeitig am 25. März 1850 in Münsingen stattfindenden Versammlungen beider politischen Lager. Auf beiden Seiten war je ein Thuner führend mit dabei, nämlich der konservative Johann Jakob Knechtenhofer (1790–1867) und der radikale Albert Lohner (1809–1854), der Sohn von Carl Friedrich Ludwig Lohner.27
Die politische Feindschaft der beiden Männer war zwei Monate zuvor, am 19. Januar 1850, an einer parteiübergreifenden Informationsveranstaltung im Thuner Freienhof über die Reform des Gerichtswesens offen zutage getreten. Johann Jakob Knechtenhofer, der zuvor angeblich Beifallklatscher angeworben hatte, wiegelte laut «Thuner Blatt» mit seiner Rede seine Anhänger auf. Die radikale Regierung stehe unter dem Einfluss fremder Propaganda und habe aus politischen Gründen Tausende von Flüchtlingen ins Land gelassen. Als Albert Lohner Knechtenhofer der Lüge bezichtigte, kam es zum Tumult. Lohner selber schrieb später im «Thuner Blatt», er habe Knechtenhofer während dessen Rede zugerufen: «Ein Schuft, wer solches sagt und es nicht beweisen kann».28 Daraufhin habe ihn Knechtenhofer beschimpft. Am Tag danach forderte Lohner seinen Widersacher zum Duell auf, denn er wollte öffentlich seine Ehre wiederherstellen. Als Knechtenhofer ablehnte, erwog Lohner, vor Gericht zu klagen. Ob er tatsächlich Anzeige einreichte und es zu einem Verfahren kam, bleibt unklar.29
Johann Jakob Knechtenhofer um 1847 auf einem Aquarell von Johann Friedrich Füchslin (1801–1857).
Eine Inszenierung liberaler Bürgerlichkeit: Albert Lohner (1809–1854) und seine Ehefrau Margaritha Julia Lohner Studer (1810–1891) mit zwei ihrer Kinder. Albert Lohner errang in seiner politischen Karriere Mandate auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene. Er galt der «Berner Zeitung» als echter Volkstribun; der «Oberländer Anzeiger» belächelte hingegen seine leidenschaftliche Art als Redner. Aquarell von Johann Friedrich Füchslin (1801–1857), 1844.
Knechtenhofer klagte im Jahr darauf vor dem Amtsgericht Thun wegen Ehrverletzung gegen Lohner, nachdem dieser im Januar 1851 im «Thuner Blatt» vor einem tollen Hund namens «Milano» gewarnt hatte. Knechtenhofer erkannte darin offenbar eine Anspielung auf seine Person, weil ihm seit dem Sonderbundskrieg von 1847 in radikalen Kreisen der Übername «Mailänder» anhaftete. Knechtenhofer galt damals als eng verbunden mit dem Sonderbund, der Allianz der katholisch-konservativen Kantone, was er aber vehement bestritt. Nach der Niederlage waren einige Protagonisten des Sonderbunds nach Mailand geflüchtet. Die Stadt gehörte zu Österreich, das den Sonderbund unterstützt hatte. In diesem Zusammenhang signalisierte der Übername eine antirepublikanische Gesinnung. Tatsächlich erhielt Knechtenhofer vor Gericht recht; Lohner wurde zu einer Geld- und Gefängnisstrafe und zum Widerruf des Artikels verurteilt.30