Der Kampf zwischen Burger- und Einwohnergemeinde
Von Beginn weg prägte das Tauziehen um finanzielle Mittel das Verhältnis zwischen der Einwohner- und der Burgergemeinde. Beispielsweise meldete der Regierungsstatthalter aus Thun Anfang 1835, dass die Burgergemeinde der Einwohnergemeinde «Hülfsquellen» verweigere, was der Stadt «noch lange» schaden werde.34 1837 wies der Regierungsrat die Burgergemeinde an, der Einwohnergemeinde die nötigen Mittel zur Bestreitung der jährlichen Ausgaben zur Verfügung zu stellen, bis die Vermögensverhältnisse geklärt seien. Der Burgerrat, unzufrieden mit dem Beschluss, forderte den Regierungsrat auf, möglichst schnell für eine Klärung der Vermögensverhältnisse zu sorgen. Da aber kein gütlicher Ausgleich zwischen den Streitparteien zustande kam, hielt der Regierungsrat 1839 seinen Beschluss von 1837 aufrecht.35
Anderswo stritten Burger- und Einwohnergemeinden ebenfalls über die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben. Die konservative Berner Regierung verlangte deshalb 1852 die generelle Regelung dieser Frage, vor allem auch um das Überleben der Burgergemeinden zu sichern. Im Dezember 1858 fällte der Regierungsrat einen Entscheid über die Güterausscheidung in Thun. Im Mai 1859 klagten 97 Einwohner beim Regierungsrat, dass die Burgergemeinde nur Güter abtrete, die zu wenig Ertrag abwürfen, teils nicht nutzbar seien oder sogar Auslagen verursachten. Dies bringe die Einwohnergemeinde in eine schwierige finanzielle Lage. Der Gemeinderat schloss sich der Beschwerde nicht an. Er befürchtete eine Beschwerde der Burgergemeinde an den Grossen Rat und eine weitere Verzögerung – wozu es dann tatsächlich auch kam.36
Das Haus der Gesellschaft zu Metzgern am Rathausplatz, nach 1811. Ausschnitt aus einem undatierten Aquarell von Johannes Knechtenhofer, der selber dieser Gesellschaft angehörte.
Erst im April 1861 erzielte die Einwohnergemeinde schliesslich zwei Übereinkünfte mit der Korporation des Vereinigten Familienguts einerseits und der Burgergemeinde anderseits. Die Einwohnergemeinde erhielt Kapitalien, Rechte, Mobilien und Immobilien zugesprochen. Dabei handelte es sich um Gebäulichkeiten wie das Rathaus, den Freienhof oder den Berntorturm, Gerätschaften wie Lösch- und Strassenbaugeräte, Plätze wie den Rathausplatz sowie Rechte wie die Nutzung von Holz aus Stadtwaldungen. Die Burgergemeinde behielt ihre Armengüter, um für die eigenen Bedürftigen zu sorgen, aber auch Besitz an Grund und Wald sowie gewisse Nutzungsrechte. Die fünf Gesellschaften, die Zünfte, lösten sich 1866 auf. Einen mit der Burgergemeinde Bern vergleichbaren Status erlangte die Burgergemeinde Thun nicht, unter anderem weil das Vereinigte Familiengut sein Vermögen in die Baugesellschaft Thun steckte und sich damit unglücklich verspekulierte.37
Die Fotografie von Ende Mai 1900 zeigt den Thuner Gemeinderat beim Kaffee auf einer Veranda mit Blick auf die Konolfinger Ebene. Das von Friedrich Zwahlen (1844–1927) präsidierte Gremium befand sich auf dem «Bluestbummel» von Thun nach Konolfingen / Biglen. Im Gemeinderat sassen sechs Angehörige des Gewerbe- und Handelsstands, zwei eidgenössische Beamte, zwei Juristen, ein Arzt, ein Landwirt und ein Hotelier. 1901 stiess der erste Vertreter der Arbeiterschaft, der Kontrolleur Karl Brunner, zum Gremium.