Politik unter dem Eindruck der äusseren Bedrohung
Angesichts der Bedrohung der Schweiz durch umliegende diktatorische Regimes wendeten sich die Sozialdemokraten in den 1930er-Jahren gesamt-schweizerisch vom Klassenkampf ab, anerkannten die Schweizer Armee und die verfassungsmässige Staatsform und arbeiteten mit denjenigen bürgerlichen Kräften zusammen, die gewillt waren, die direktdemokratisch-parlamentarischen Institutionen zu verteidigen.60
Die Frontenbewegung hingegen sympathisierte offen mit diktatorischen Regimes und strebte die Errichtung eines autoritären Führerstaats an. In Thun machte zunächst die nationalkonservative und antisemitische Heimatwehr von sich reden. Die Wirtschaftskrise und die bäuerliche Not bescherten ihr bei Klein- und Bergbauern einige Sympathien. Einen zeitweisen Fürsprecher fanden die Ideen ihres Protagonisten, Fritz Graber (1895–1959), im Thuner «Geschäftsblatt». Kurz vor den Grossratswahlen von 1934 schwenkte das Blatt jedoch wieder auf die Linie der BGB ein. An diesen Wahlen erzielte die Heimatwehr, die in sieben Bezirken antrat, darunter auch in Thun, drei Mandate; vier Jahre später kandidierte sie nur noch in den Ämtern Frutigen und Thun und errang noch ein Mandat.
Als die Heimatwehr nach 1936 an Zugkraft verlor, traten die Jungbauern an ihre Stelle. Sie hatten sich im Laufe der 1930er-Jahre zunächst Sozialdemokraten und Gewerkschaften angenähert, bekundeten aber in den späten 1930er- Jahren frontistische Sympathien. Sie erzielten in Thun von 1939–1947 bei Grossrats- und Nationalratswahlen einen Wähleranteil von einem bis sechs Prozent.
Der leer gefegte Rathausplatz um 1932. Nur zwei Automobile stehen beim Rathaus, vermutlich die Wagen von Thuner Magistraten. Der repräsentative Platz mit dem symbolträchtigen Rathaus war schon damals ein Ort, den politische Gruppierungen für ihre Anliegen zu nutzen wussten.
Für lokale Mandate bewarben sich die Heimatwehr und die Jungbauern nie.61 Eine Randerscheinung war die Kommunistische Partei. So wies die Polizei am Abend vom 1. August 1932 Kommunisten vom Rathausplatz, die im Begriff waren, dort eine Rednertribüne aufzubauen. Der «bekannte Agitator Bickel aus Zürich» hätte eine Rede halten sollen. Dabei handelte es sich vermutlich um Hans Bickel (1884–1961), 1921 Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS).62
Trotz des Zusammenrückens der demokratischen Kräfte war die ideologische Polarisierung im Wahlkampf von 1936 immer noch spürbar. In der Presse stritten beide Seiten nicht nur mit pragmatischen Argumenten. Die «Berner Tagwacht» bezichtigte beispielsweise die bürgerlichen Parteien, sie seien die Steigbügelhalter der modernen Landvögte, welche die Arbeiter ausnützten
Der Gemeinderat von 1939 im Rathaus. Stadtpräsident Paul Kunz in der Mitte sitzt erhöht über der Szenerie. Der vormalige Redaktor des «Thuner Tagblatts» regierte mit nahezu 30 Amtsjahren am längsten: Er war Stadtpräsident von 1919–1926, amtierte 1928–1930 als Mitglied des Stadtrates
und kehrte für die Jahre 1931–1938 wieder als Beisitzer ohne Ressort in den Gemeinderat zurück. 1939 folgte er erneut als Stadtpräsident auf Eduard Amstutz und regierte bis 1952. Zeitweilig sass er auch im Grossen Rat und im Nationalrat.
Trotz des Zusammenrückens der demokratischen Kräfte war die ideologische Polarisierung im Wahlkampf von 1936 immer noch spürbar. In der Presse stritten beide Seiten nicht nur mit pragmatischen Argumenten. Die «Berner Tagwacht» bezichtigte beispielsweise die bürgerlichen Parteien, sie seien die Steigbügelhalter der modernen Landvögte, welche die Arbeiter ausnützten und sie ihrer Lebenschancen beraubten. Scharf geisselte die «Berner Tagwacht» zudem die Wahltaktiker der bürgerlichen Parteien, die angeblich mit den Faschisten liebäugelten.63 Das «Oberländer Tagblatt» seinerseits unterstellte der Linken Sympathien für diktatorische Staatsformen. Bolschewismus und Faschismus seien in ihrem Kern wesensgleich, und die Sozialdemokraten seien erst in letzter Stunde in die Front der Demokraten eingeschwenkt, mehr «geschoben als aus innerer Einsicht». Deshalb verdiene die SP, die jahrzehntelang in die falsche Richtung marschiert sei, keine politische Mehrheit. Thun habe sich unter den Fittichen der Bürgerlichen zudem von einer «Kleinstadt zu einem bedeutenden Gemeinwesen von modernem Zuschnitt» entwickelt. Es wäre ein Spiel mit dem Feuer, die Mehrheit der SP zu überlassen.64
Die Sozialdemokraten verloren die Wahlen vom 6. Dezember 1936, die BGB und die FDP errangen eine knappe Mehrheit. Als weitere Kleinpartei nahmen neben der EVP damals die Freiwirtschafter Platz im Stadtrat. Ihre Partei ging aus dem 1915 gegründeten Freiland-Freigeld-Bund hervor, dessen Exponenten beabsichtigten, eine Brücke zwischen Liberalismus und Sozialismus zu schlagen. Sie verbanden wirtschaftsliberale Ideen mit dem sozialistischen Postulat der Bodenverstaatlichung.65