Durchpflügte Parteienlandschaft und veränderte Exekutive
Bis 2008 waren immer die traditionellen Parteien SP, FDP, SVP in der Exekutive vertreten gewesen, nun stiessen neue hinzu. Die erste Veränderung ging zurück auf einen Bruch innerhalb der SVP. Unmittelbarer Anlass dazu war die im Dezember 2007 erfolgte Wahl Evelyne Widmer-Schlumpfs (geb. 1956) in den Bundesrat und die anschliessende Schmutzkampagne aus den eigenen Reihen. Verschiedene SVP-Mitglieder mit Mandaten auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene traten aus der SVP aus. Ursula Haller, 1999–2014 Mitglied des Thuner Gemeinderats und zugleich Nationalrätin, verliess die Partei 2008. Sie wurde in der Folge zu einer Gründerfigur der mitte-rechts anzusiedelnden Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP). Die BDP schaffte es schon 2010, als sie zum ersten Mal zu Thuner Wahlen antrat, drittstärkste Fraktion im Stadtrat zu werden. Nach Hallers Rückzug aus dem Gemeinderat gewann die per Listenverbindung mit der BDP verbundene Liste Mitte Thun den Sitz mit dem CVP-Vertreter Konrad Hädener (geb. 1959).84
«Die Kunst wird von der Politik getragen», ein Werk der Berner Künstlerin Chantal Michel (geb. 1968), 2004. Der Gemeinderat mit Stadtpräsident Hansueli von Allmen (SP), Heinz Leuenberger (SP), Ursula Haller (damals SVP), Beat Straubhaar (FDP) und Andreas Lüscher (SVP) (v. l. n. r.)
trägt die Künstlerin vor einer alpinen Kulisse. Bis 2002 zählte der Rat sieben Mitglieder (drei davon hauptamtlich), ab 2003 fünf Mitglieder, davon drei im Hauptamt. Seit 2005 entscheidet die Stadtregierung selber, wer im Haupt- und im Nebenamt arbeitet.
Vom Wählerschwund der traditionellen Parteien seit den 1970er-Jahren erholte sich in Thun einzig die SVP, seitdem sie sich auf Bundesebene zu einer nationalkonservativen, rechtspopulistischen Kraft gewandelt hatte. Ab dem Ende der 1990er-Jahre saugte die SVP auch in Thun die rechtspopulistischen Splitterparteien weitgehend auf; seither gibt es fast keinen Platz mehr rechts von ihr. Den Abgang eines Teils ihrer Mitglieder 2008 zur BDP hat sie gut verkraftet. An den Wahlen von 2010 wurde sie stärkste Partei in Thuns Politikgefüge, sie holte auch den an die BDP verlorenen Sitz im Gemeinderat zurück und stellte darüber hinaus mit Raphael Lanz (geb. 1968) zum ersten Mal den Stadtpräsidenten. Dieser hatte sich schon im ersten Wahlgang gegen den Kandidaten der SP, Peter Siegenthaler (geb. 1962), wie auch gegen die Kandidatin der BDP, Ursula Haller, durchgesetzt. Die 40 Jahre dauernde Ära sozialdemokratischer Stadtpräsidenten war damit zu Ende.
Der Gemeinderat 2015 auf der Regierungsbank im Stadtratssaal. Von links nach rechts: Roman Gimmel (SVP), Peter Siegenthaler (SP), Bruno Huwyler (Stadtschreiber), Raphael Lanz, Stadtpräsident (SVP), Konrad Hädener (CVP), Marianne Dumermuth (SP) und Thomas Hiltpold, Stadtratspräsident (Grüne).
Einen beispiellosen Niedergang erlebte die FDP, die einst führende bürgerliche Partei in Thun. Nach einem jahrelangen Sinkflug verlor sie 2010 ihren Sitz im Gemeinderat und war erstmals seit 1919 nicht mehr in der Regierung vertreten, zudem konnte sie nach den Wahlen von 2014 im Stadtrat keine eigenständige Fraktion mehr bilden. Dies dürfte zum Teil an der seit 2011 im Stadtrat vertretenen Grünliberalen Partei (glp) gelegen haben, die Ökologie und Liberalismus miteinander verbindet. Auch die SP musste in den vergangenen Jahrzehnten Verluste hinnehmen. Bis 2010 blieb sie aber immerhin sitzstärkste Partei im Stadtrat und hielt auch danach ihre beiden Sitze im Gemeinderat. Ab 2002 ging die SP jeweils eine Listenverbindung mit der Grünen Partei ein. Die beiden Kräfte hielten zusammen noch einige Zeit annähernd die Wähleranteile, die die SP früher alleine erzielt hatte. Allerdings fiel dieser Anteil in den vergangenen Jahren auf rund 32 Prozent.85
In jüngster Zeit sah sich die Stadt insgesamt viermal mit der Nichtwiederwahl von Exekutivmitgliedern konfrontiert. Dies verursachte nicht nur Kosten, sondern man befürchtete auch, dass sich deswegen das Interesse geeigneter Personen an einer politischen Karriere im Gemeinderat verringern könnte. Mit mehreren Reformen der Wahl- und Abstimmungsordnung versuchte man dieses Problem zu lösen. So gelangte in den Wahlen 1990 erstmals ein Proporzverfahren zur Anwendung, das aber die Erwartungen nicht erfüllte. 2001 wurde es von einem Majorzwahlsystem abgelöst, seit 2005 ist wieder ein Proporzwahlverfahren in Kraft.86