Politische und personelle Kontinuität
Nach dem Wiener Kongress 1815 gingen die Länder Europas in die Restauration über, indem sie teils die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Ancien Régime wiederherstellten. In der Eidgenossenschaft waren schon nach dem Ende der Mediation 1813 vielerorts restaurative Kräfte an die Macht gelangt, auch im Kanton Bern bestimmten die alten Führungsschichten aus der Zeit vor 1798 wieder die Geschicke des Landes. Nachdem der bernische Grosse Rat Ende 1813 die Mediationsakte aufgehoben hatte, erklärte er sich am 21. September 1815 zum verfassungsrechtlichen Mittelpunkt. Er zählte 299 Mitglieder, davon 200 aus der Hauptstadt und neu 99 aus den übrigen Kantonsteilen. Als Landstadt ordnete Thun zwei Mitglieder ab. Oberamtmänner repräsentierten den Kanton in den Amtsbezirken. Im Amt Thun waren dies ab 1815 Gottlieb Albrecht Steiger (1771–1847) und ab 1821 Bernhard Alexander Steiger (1774–1858). Die beiden Brüder gehörten dem Berner Patriziat an. Unter ihrem Vorsitz stand auch das Amtsgericht, welches erstinstanzlich in Zivil- und Kriminalfällen entschied. Zum Gerichtswesen gehörten ferner das Chorgericht, nach 1831 Sittengericht genannt, und das Untergericht.1
In Thun verkündete Venner Samuel Friedrich Moser (1754–1819) am 29. Dezember 1813 vor den Mitgliedern des Grossen und des Kleinen Stadtrats die Aufhebung der Mediationsakte und die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den Grossen und den Kleinen Rat des Staates Bern. Die politischen Strukturen in Thun richteten sich nach der Organisation von 1803. Politisch massgebend waren bis 1830/31 der 13-köpfige Kleine Stadtrat und der 40 Mitglieder zählende Grosse Stadtrat. Wahlfähig war, wer das Burgerrecht besass und einer der fünf Gesellschaften (Zünfte) angehörte. Die Mitglieder des Kleinen Rates wurden von «Räth und Burger(n)» gewählt.2 Der Kleine Rat seinerseits wählte neue Mitglieder des Grossen Stadtrates jeweils aus einem Fünfervorschlag desselben – jede der fünf Gesellschaften schlug einen Kandidaten vor.
Zwei Venner leiteten die beiden Räte und standen somit der Stadt vor. Sie wechselten sich beim Präsidium des Grossen und des Kleinen Stadtrats jährlich ab. Die beiden im Rang auf die Venner folgenden Ämter, die wie diese aus der Mitte des Kleinen Stadtrates besetzt wurden, waren der Seckelmeister, der die Stadtfinanzen verwaltete und zugleich Bauherr der Stadt war, und der Spitalvogt, der für das Vermögen des Spitals zuständig war. Der Grosse Stadtrat war unter anderem zuständig für die Genehmigung der Rechnung und die Besetzung diverser Ämter mit Personen aus seiner Mitte. Er wählte zum Beispiel die Waisen- und die Spendvögte, also die Verwalter des Armenguts, sowie die Pfrundvögte, die sich um die Pfrundgüter der Kirchen in Thun und Scherzligen kümmerten. Beim Übergang von der Mediation zur Restauration gab es keine personellen Brüche. Personell bemerkenswert konstant war der Kleine Rat: Alle Ratsherren bis auf Jakob Gabriel Trog (1781–1865) waren schon vor 1815 im Amt. Mindestens sechs Ratsmitglieder stammten aus Familien, die bereits 1798 dort vertreten waren, nämlich die Deci, Knechtenhofer, Moser, Scheidegg und Studer. Sie stellten auch die Venner, ab 1819 Gottlieb Scheidegg (1756–1837) und Johann Friedrich Deci (1769–1838).3
Jakob Gabriel Trog (1781–1865) und seine Ehefrau Rosina Francisca Perceret. Ölgemälde, Franz Joseph Menteler, 1823. Der Inhaber der Koch’schen Apotheke wurde 1806 in den Grossen Stadtrat und 1815 in den Kleinen Stadtrat gewählt. 1819 wurde er Polizeidirektor. Die Wahl in die burgerliche Stadtverwaltung im März 1831 und jene in den Einwohnergemeinderat im August 1831 schlug er aus, um sich auf seine mykologischen Studien zu konzentrieren. Seine Werke über die Pilze dienten noch 1860 als Lehrmittel im Naturkundeunterricht am Thuner Progymnasium.