Ankunft von internierten Franzosen vor dem Hotel Beau-Rivage in Thun. Zeitgenössische Ansichtskarte, Frühjahr 1916. Rechts eine Komposition der Rechtsufrigen Thunerseebahn.
Internierungen in Thun
Karin RohrbachIm 19. und 20.Jahrhundert nahm die Schweiz während Unruhen oder Kriegen aufgrund ihrer Neutralität wiederholt ausländische Zivilisten und Armeeangehörige auf, insbesondere solche, die sich durch einen Übertritt in die Schweiz einer Gefangennahme durch den Feind entziehen wollten. Gestützt auf das humanitäre Völkerrecht (Genfer Konventionen und V. Haager Abkommen von 1907) wurden sie entwaffnet und interniert. Sie wohnten in einem zugewiesenen Domizil (zum Beispiel in einem Barackenlager, einer Kaserne, einem Privatlogis oder einem Hotel) mit einem bestimmten Bewegungsrayon, wo man sie auf Kosten ihrer Heimatstaaten versorgte und oft auch beschäftigte. Militärbehörden und Ortspolizei beaufsichtigten die Internierten und sorgten für eine strikte Disziplin.
Wie Hunderte andere Gemeinden erlebte auch Thun mehrere Internierungen. Daran erinnern heute unter anderem der Franzosenweg im Lerchenfeldquartier sowie eine Grab- und Gedenkstätte auf dem Stadtfriedhof. Infolge revolutionärer Unruhen im deutschen Grossherzogtum Baden 1848/49 fanden im Sommer 1849 im Schloss Thun über 200 geflüchtete aufständische Militärpersonen Unterkunft. Die Internierung ausländischer Truppen während des Krieges zwischen Frankreich/Sardinien und Österreich in Oberitalien im Jahr 1859 betraf die Stadt Thun nicht.
Ab Februar 1871 belebten gegen 2000 «Bourbakis» sechs Wochen lang die Stadt Thun, Angehörige der im Deutsch-Französischen Krieg in die Schweiz abgedrängten und rund 87000 Mann starken französischen Ostarmee unter General Bourbaki. Deren Kriegsmaterial wurde unter anderem in Thun gelagert und gereinigt, weil es von hier eine Bahnverbindung nach Bern gab und wegen der vorhandenen militärischen Infrastruktur. In die Stadt kamen zudem über 1000 Pferde der Internierten, kantonsweit war deren Zahl nur in der Stadt Bern höher. Thun beherbergte wie Luzern bereits seit Anfang Januar 1871 (also noch vor dem Grenzübertritt der Bourbaki-Armee) rund 200 internierte Militärpersonen, einquartiert in der Kaserne an der Allmendstrasse. Es waren mehrheitlich französische Kolonialsoldaten aus Nordafrika und Freiwillige aus diversen Ländern, die sich nach Gefechten mit deutschen Vorposten im Jura in die Schweiz abgesetzt hatten.
Gemäss Abkommen zwischen den Kriegsparteien erholten sich im Ersten Weltkrieg insgesamt 68 000 Kriegsgefangene britischer, französischer, belgischer und deutscher Nationalität in der Schweiz von ihren Krankheiten und Verletzungen, zumeist in touristisch geprägten Bergregionen und Kurorten. In Thuner Gasthöfen und Hotels logierten 1916–1918 durchschnittlich etwa 100 Internierte, vorwiegend verletzte Franzosen und Belgier. Die Militärbehörden internierten wegen Grenzverletzung mehrere deutsche Offiziere, vor allem Piloten, in der Thuner Offizierskaserne.
Zu einer weiteren grösseren Internierung kam es im Zweiten Weltkrieg. Im Juni 1940 traten das 45. französische Armeekorps unter General Daille und die angeschlossene 2. polnische Schützendivision unter General Prugar Ketling in die Schweiz über, total 42000 Mann. Am Armeestandort Thun wurde ein Grossteil der über 2000 Motorfahrzeuge stationiert. Bis zu 50 in der Kaserne internierte Franzosen und Polen inventarisierten und reparierten diese. Die Schweiz kaufte Frankreich beziehungsweise der Besatzungsmacht Deutschland über 700 Motorfahrzeuge ab und transportierte den Rest bis im Sommer 1941 nach Deutschland. Für medizinische Spezialbehandlungen reisten mehrere in Adelboden internierte US-Piloten für eintägige Aufenthalte nach Thun.101