Velofahren, Wassersport, Schlitteln und Eislaufen
Der Einwohnerverein Thun, der sich seit 1870 der Tourismusförderung verschrieben hatte, stellte fest, dass die englischen Gäste in den Ferien nicht auf ihre «sports» verzichten wollten. Deshalb beschloss er 1884, sich am Bau eines Platzes zu beteiligen, «wo die, namentlich von Engländern mit Vorliebe gepflegten Ballspiele betrieben werden können».12 Im April 1890 erhielt er vom Gemeinderat die Erlaubnis, einen «Rennplatz für Velozipedes und einen Spielplatz für englische Spiele»13 zu erstellen. Innerhalb weniger Monate entstand die sogenannte Velomatte im Aarefeld, wo sogleich das 3. Eidgenössische Velorennen stattfand, das neben Radwettrennen zusätzlich Hindernis-, Kunst- und Reigenfahren umfasste. Zur selben Zeit entwickelte sich das Fahrradfahren allmählich zu einer Freizeitbetätigung, die auch für Frauen und Mädchen attraktiv war.
1886 entstand der Velo-Klub Thun, der ab 1887 Velorennen um den Thunersee veranstaltete und 1891 eine eigene Musikkapelle, die Velomusik, gründete. An den Rennen nahmen Fahrer von Hoch- und Niederrädern teil, und sie erreichten schon damals Geschwindigkeiten über 30 km / h. Nach 1890 setzten sich die Niederräder durch, die nun mit Hohlgummireifen ausgestattet waren. Diese erhöhten den Fahrkomfort auf den holprigen Strassenbelägen enorm. 1922 fand in Thun erstmals ein kantonales Strassenrennen statt, das ebenfalls um den Thunersee führte. Die meisten Rennfahrer waren unter 36 Jahre alt und somit Junioren; acht Teilnehmende, die älter als 36 waren, zählten zu den Senioren. Unter ihnen befand sich auch eine Frau, die nach dem Rennen einen Blumenstrauss als Ehrenpreis in Empfang nehmen durfte. Der heute noch existierende Radrennclub Thun entstand 1955.14
Drei Männer posieren 1901 mit ihren Velos vor der Kulisse der Stadt Thun und der Alpen. Die einheitlichen Mützen legen nahe, dass sie Mitglieder des Thuner Velo-Klubs waren. Die Fotografie stammt von Jean Moeglé, der selbst ein begeisterter Fahrradfahrer war. Er gewann 1887 ein Velorennen um den Thunersee, organisiert vom Velo-Klub Thun, in 2 Stunden und 28 Minuten.
Die paar Thuner, die 1887 einen Ruder- und Segelklub gründeten, wollten ebenfalls nicht nur den Einheimischen, sondern namentlich auch den Sommergästen «durch verschiedenartige Übungen, Wettrennen und Tourniere auf dem See mit Ruder- und Segelboten Vergnügen und Unterhaltung» bieten.15 Der Wassersport etablierte sich in Thun im 20. Jahrhundert: 1910 gründeten die Ruderer den See Club Thun, 1920 entstand der Thunersee Yacht-Club der Segler, 1943 kamen der Kanu Klub und 1982 der Windsurfclub hinzu. Auf der Aare fand 1950 zwischen der oberen Schleuse und der Bahnhofbrücke die Kanu-Schweizermeisterschaft statt; die Freestyle-Kajakfahrer trugen 2009 ihre Weltmeisterschaft unterhalb der Schleuse auf der stehenden Welle aus, die heute bei den Fluss-Surfern beliebt ist.16
Bewegungsfreudige Gäste liessen sich im 19. Jahrhundert auch von den Einheimischen inspirieren. So lieh sich zum Beispiel ein Engländer im Januar 1848 von einem Thuner Knaben einen Schlitten und rodelte vergnügt gemeinsam mit der Schuljugend. 1893 entdeckten wiederum die Thuner Turner das Schlitteln mit Handschlitten, die sie bei den Wintergästen erstmals gesehen hatten. Sie veranstalteten einen Schlittenausflug, wobei sie sich bergaufwärts von einem Pferdeschlitten ziehen liessen. Im Januar 1907 fand ein Schlittenwettrennen von Goldiwil nach Thun statt, deklariert als Schweizermeisterschaft. 94 Frauen und Männer nahmen teil, der Gewinner bewältigte die Strecke in 7 Minuten 22 Sekunden und erhielt eine goldene Uhr. Die schnellste Frau erreichte den 17. Platz und war gut eine Minute langsamer als der Sieger. Das Schlitteln auf der Goldiwilstrasse avancierte zu einem allgemeinen Volksvergnügen, das wiederholt zu schweren Unfällen führte, weil die Schlitten oft zu schnell unterwegs waren und die Strasse gleichzeitig von Fuhrwerken, Pferdeschlitten, Autos und Lastwagen befahren wurde.17
Wenn es kalt genug war, konnten die Thunerinnen und Thuner auf mehreren präparierten Eisflächen Schlittschuh laufen,
so zum Beispiel zwischen dem unteren Inseli und dem Scherzligweg. Fotografie, 1917.
Schlittschuhlaufen war ebenfalls beliebt. 1830 verboten die Stadtbehörden «Schlittschuhlaufen und Schleifen auf dem Eise (Zyblen) in den Gassen und Lauben, und auf öffentlichen Plätzen (...) ohne Bewilligung und Bezeichnung des Platzes durch den Polizey-Direktor».18 Bereits 1872 existierte ein Schlittschuh-Club, und einige Eisflächen wurden von einem Eisbahn-Komitee als Eisbahnen gepflegt, für die man Eintritt zahlen musste. 1930 entstand der Eislauf-Klub Thun, 1940 der Eishockey Club Thun. Weil die natürlichen Eisflächen pro Wintersaison meist nur wenige Tage lang tragfähig genug waren fürs Eislaufen, wurde 1959 der ehemalige Fussballplatz im Grabengut durch eine Kunsteisbahn ersetzt, die 1994 ein Dach erhielt. 1966–1974 spielte der EHC Thun mit Ausnahme einer Saison in der Nationalliga B, seither in der 1. Liga. 1974 fusionierte er mit dem EHC Steffisburg und 1993 mit der Eishockeyabteilung des SC Thunerstern, der seit den 1980er-Jahren im Rollhockey erfolgreich ist. Die Frauen spielten in Thun ab 1986 Eishockey. Ihr Verein, der EV BOMO Thun, gehört seit 2006 der höchsten Spielklasse des nationalen Frauenhockeys an.19