Zeitungen und Propaganda
Da die männliche Bevölkerung nun wahlberechtigt war, gewannen Information und Propaganda an Bedeutung. Im Dezember 1800 erschien in Thun zum ersten Mal eine regionale Zeitung. Bereits im April 1801 musste sie jedoch eingestellt werden. Sie teilte damit das Schicksal vieler kurzlebiger Zeitungen und Zeitschriften in der Helvetischen Republik. Das bezeugt auch die folgende humoristische Beurteilung im «Berner-Blatt»: «Die Eydgenössischen Nachrichten; starben an Verrenkung. Die Bernerzeitung; ertrank in einem Sammler. Die Helvetischen Annalen; starben am Spitalfieber. Das Volksblatt; starb an Wind- und Wassersucht. Das Berner Tagebuch; starb an Verzehrung des Geistes. Das Berner-Blatt; starb vor Kummer, weil es bey Bürger X und Bürgerin Y in Ungnade gefallen war. NB. die übrigen werden nachfolgen.»32
Die helvetische Regierung selbst gab das im Zitat erwähnte «Helvetische Volksblatt» heraus, das von September 1798 bis Februar 1799 in allen Teilen des Landes, so auch in Thun, gestreut wurde. Erster Redaktor war Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827). Regierungsstatthalter Joneli forderte die Unterstatthalter schriftlich auf, über die Wirkung dieser Zeitung Auskunft zu geben, um seinerseits dem zuständigen Minister Philipp Albert Stapfer (1766– 1840) darüber berichten zu können. Auf die Frage, welchen Einfluss das Blatt auf das Volk mache, antwortete aus Thun Unterstatthalter Deci lakonisch: «So viel ich höre keinen übeln, diejenigen unter ihm, so gerne lesen, lesen es mit viel Interesse, viele vom Volk aber lesen gar nicht, man möchte ihnen vorlegen, was man wollte.» Aus anderen Gegenden des Kantons gab es allerdings Rückmeldungen, dass Teile der Bevölkerung skeptisch seien, weil das Volksblatt von der Regierung verbreitet werde.33 Joneli seinerseits beurteilte die Zeitung positiv und befürwortete eine grössere Auflage, damit das Volksblatt besser gestreut werden könne. Schliesslich wurde es jedoch wegen mangelnder Volksnähe eingestellt.34 Dass die helvetischen Behörden diese Form der staatlichen Propaganda wählten, lässt den Schluss zu, dass die Lesefähigkeit Ende des 18. Jahrhunderts weit besser war als bisher oft angenommen. Dies bestätigen auch aktuelle Forschungsresultate: Am Ende des Ancien Régime konnte im heutigen Kanton Bern praktisch die ganze Bevölkerung lesen.35