Einquartierungen, Wirtschaft und Gesellschaft
Vom 30. März 1798 bis Ende Januar 1799 mussten zwei Kompanien Husaren und zwei Infanteriekompanien in Thun untergebracht und versorgt werden. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Thun litten unter den Einquartierungen der französischen Armee. Die Stadt stellte bereits am 28. März 1798 das Waisenhaus für Einquartierungen zur Verfügung, doch damit war das Problem nicht gelöst. Um die Einquartierungen bei Privaten zu regeln, wurde eine Quartierkommission gebildet: Die Urversammlung wählte drei Personen in diese Kommission, nämlich den Freienhofwirt Johan Offenhäuser (geb. 1742), Johannes Hürner (1753–1824) und den Venner Samuel Karl Koch (1736–1808). Ihnen wurden drei Suppleanten zur Seite gestellt. Das Quartieramt unterteilte Thuns Wohnbevölkerung in sechs Vermögensklassen, nach denen die Einquartierungen zugeteilt wurden. Angehörige der ersten und reichsten Klasse mussten sechs, jene der zweiten drei, jene der dritten zwei und die Angehörigen der vierten Klasse nur einen Mann aufnehmen. Ein Offizier galt je nach Grad so viel wie zwei bis vier Mann. Da diese Lösung die Bevölkerung stark belastete, beschloss man schliesslich den Bau einer Kaserne, indem das bestehende Kornhaus im Bälliz aufgestockt wurde. Es gab Klagen wegen der Einquartierungen, und der Bürger Johannes Bachmann wurde, als er aufbegehrte, sogar verhaftet. Nach einer Intervention des Regierungsstatthalters wurde er allerdings wieder freigelassen.26
Scheck vom 28. Januar 1799 über 12 000 Schweizerfranken zugunsten der Verwaltungskammer, ausgestellt auf den Obereinnehmer Friedrich Koch.
Entschädigt wurden die Lieferungen an die Franzosen mit Geldschecks, wie dem hier abgebildeten. Diese konnten aber nur teilweise eingelöst werden, da es der Helvetischen Republik an Geld fehlte.
Johann Gottlieb Schrämli (1792–1841) beklagte in seiner Chronik von Thun den traurigen Zustand der «Sittlichkeit und Religiosität» während der Helvetik und führte das unter anderem auf den Einfluss der französischen Soldaten zurück: «Leute aus allen Ständen, Herren und Frauen aus den besten Häusern, von der ersten Bildung trieben mit Franzosen und Inländern Galanterie». Die Thuner Frauen seien im ganzen Land «in schimpflichen Ruf» gekommen. Tatsächlich findet sich im Taufrodel der Stadt Thun eine Zunahme der unehelichen Geburten in den Jahren 1799 und 1800, bei denen etliche Male ein «Franzose» als (unbekannter) Vater angegeben wurde. Nach dem Betragen der einquartierten Franzosen befragt, meldeten die Distriktstatthalter von Interlaken, Unterseen und Wimmis jedoch ausser etwas Alkoholkonsum keine negativen Vorkommnisse. Der entsprechende Bericht aus Thun ist leider nicht überliefert.27
Die Einquartierungen bedeuteten nicht nur eine Last für die Privathaushalte, die Truppen und Pferde mussten auch mit Nahrung versorgt werden. Der Kanton musste Brot, Fleisch, Heu, Stroh, Hafer, Gerste, Wein und Schnaps liefern. Ausserdem verlangte die französische Armee Transportmaterial und Pferde. Die Verantwortung für diese Lieferungen trugen die Verwaltungskammer unter Präsident Johannes Deci und das Kantonskommissariat unter der Leitung von Johann Peter Knechtenhofer, der das schwierige Amt jedoch Ende Mai 1799 bereits wieder abgab. Die Forderungen waren hoch und für den neuen Kanton nicht zu bewältigen, insbesondere weil der Kanton Bern Anspruch auf die Vorratsmagazine in Thun, Interlaken und Unterseen erhob.28
Die Franzosen zogen Anfang 1799 beim Ausbruch des Zweiten Koalitionskrieges vorübergehend wieder ab, aber von Ende April desselben Jahres bis Ende September 1801 wurden erneut französische Truppen einquartiert.29 Ab 1799 wurde auch die neue helvetische Armee aufgebaut und organisiert. In jedem Kanton war dafür ein helvetischer Generalinspektor zuständig. Der Kanton Oberland stellte zwei Bataillone mit insgesamt 6626 Mann. Einzelne Thuner liessen sich während der Helvetik und Mediation für den französischen Militärdienst in einem der vier Schweizer Regimente anwerben. In der ganzen Periode waren es aber insgesamt nur etwa zehn Mann, in den übrigen Gemeinden des Amtsbezirks jedoch weitaus mehr.30
Am 13. Dezember 1800 erschien in Thun zum ersten Mal eine regionale Zeitung: der «Oberländer-Bote».
Herausgegeben wurde sie von Johann Samuel Hopf (1784–1830) und Gabriel Friedrich Studer (1784–1824).
Der Kanton hatte – wie die ganze Helvetische Republik – mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Die Bevölkerung musste nach der neuen Gesetzgebung erstmals Steuern zahlen. Zunächst wurde im Kriegsjahr 1799 auf das Vermögen eine ausserordentliche Kriegssteuer erhoben. Es folgten weitere neue Abgaben: eine Kapitalsteuer, eine Steuer auf Liegenschaften, eine Getränkesteuer und eine Erbschaftssteuer. Oberster Steuerbeamter des Kantons beziehungsweise Obereinnehmer war Friedrich Koch, der Bruder von Karl Koch. Auf dem politischen Programm stand auch die Ablösung der Zehnten und der übrigen Feudallasten sowie deren Ersatz durch eine Bodensteuer. Die neuen Abgaben reichten aber bei Weitem nicht aus, um die Ausgaben zu bestreiten. Vormals obrigkeitlicher Besitz wurde zum Nationalgut der Helvetischen Republik erklärt. So konnten Güter zugunsten der Staatskasse verpachtet und veräussert werden. 1801 mussten die inzwischen abgeschafften Zehnten wiedereingeführt werden, weil die Kantonsregierung die Gehälter der Geistlichen und anderer Beamter nicht mehr auszahlen konnte.31