Von Burgern und Hintersässen, Alten und Jungen, Frauen und Männern
Wer 1850 durch die Gassen der Stadt Thun schlenderte, traf statistisch gesehen nur bei jeder vierten Begegnung auf eine Thuner Burgerin oder einen Thuner Burger. Drei Viertel der Stadtbevölkerung waren damals nicht Burger von Thun, sondern stammten aus einer anderen Berner Gemeinde oder gar aus einem anderen Kanton. Auch bevölkerten Mitte des 19. Jahrhunderts etwas mehr Frauen als Männer die Stadt. Beide Phänomene – burgerliche Minderheit und Frauenüberhang – lassen sich zum selben Zeitpunkt auch in anderen Schweizer Städten beobachten. Die relative Zahl der Burgerinnen und Burger verringerte sich in den meisten Berner Gemeinden aufgrund einer Entwicklung, die schon im 17. Jahrhundert eingesetzt hatte: Die Aufnahme ins Burgerrecht wurde erschwert, weil die Burger ihre Privilegien nicht mit den Hintersässen, also der nicht-burgerlichen Bevölkerung, teilen wollten. Diese Abschliessungstendenz zusammen mit dem steten Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung, die ihrerseits durch die Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit möglich geworden war, führte zu einem stetig schrumpfenden Anteil Burgerinnen und Burger an der Gesamtbevölkerung. 1910 betrug er 8,5 Prozent, 2018 noch etwa 1,3 Prozent.
Der Frauenüberhang kam in Thun wie in anderen Städten bis in die Zwischenkriegszeit teilweise durch den Zustrom von Dienstbotinnen zustande, deren Zahl jene der zugewanderten Gesellen übertraf. Die Frauen waren im 19. wie im 20. Jahrhundert aber auch in der ansässigen Bevölkerung in der Mehrzahl. 1835 machten sie 54,5 Prozent der Bevölkerung aus. Dieser Anteil blieb 1850–2016 weitgehend konstant.11
Das Personal der Pension Itten, um 1909. Auch andere Hotels und Gasthöfe boten zahlreichen Köchinnen, Mägden, Kellnerinnen, Saaltöchtern und Zimmermädchen Arbeit.
Das Dienstverhältnis dauerte meist ein paar Monate oder ein ganzes Jahr lang, danach zogen die jungen Frauen zu einem anderen Arbeitgeber weiter. Fotografie von Jean Moeglé.
Mit zunehmendem Alter verschiebt sich das Geschlechterverhältnis zugunsten der Frauen, was nichs anderes bedeutet, als dass Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer haben. Die Männer holten jedoch im Verlauf der rund 150 Jahre auf: Bei den über 60-Jährigen kamen 1856 auf 100 Frauen 68 Männer, 1941 bei den über 65-Jährigen auf 100 Frauen 78 Männer, 2010 noch 70 Männer auf 100 Frauen.
Die Diagramme zeigen auch, dass die Thunerinnen und Thuner immer älter werden. Noch 1941 erreichte kaum jemand das Alter von 90 Jahren, 2010 hat sich diese Obergrenze gegen 100 Jahre verschoben.