Armutsprävention
Bereits im 19. Jahrhundert gab es von privater Seite Initiativen, um sich gegen gewisse Armutsrisiken zu versichern. 1828 gründeten 42 Hintersässen eine Kranken- und Hilfskasse für Berufsleute, aus der ihnen auch eine würdige Beerdigung bezahlt wurde. Neben dieser Einwohnerkrankenkasse entstanden weitere Arbeiter-, Betriebs-, Gewerkschafts- und allgemeine Krankenkassen für Erwerbstätige, unter anderen 1865 diejenige für die Arbeiter der Munitionsfabrik. Um nicht unter der Lebensmittelteuerung in Krisenjahren leiden zu müssen, schlossen sich Hintersässen 1855 zu einem Verein zusammen, der seinen Mitgliedern durch den Betrieb einer Aktienbäckerei zu günstigem Brot verhalf.75
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Einsicht durch, dass die Gemeinde sich nicht nur um die Armen kümmern, sondern dafür sorgen sollte, dass Armut gar nicht erst entstehen konnte. Dafür schuf die Stadt 1919 neben der Armenkommission eine Kommission für Soziale Fürsorge. In erster Linie versuchte diese, den Arbeitslosen zu Arbeit zu verhelfen. Zum einen beschäftigte sie diese bei Notstandsarbeiten, zum Beispiel beim Bau von Strassen und Kanalisationen sowie des Strandbads 1932, zum anderen betrieb sie eine Stellenvermittlung, die später vom städtischen Arbeitsamt weitergeführt wurde. Ab 1936 schickte sie Arbeitslose auch in Umschulungs- und Weiterbildungskurse. Da es sich bei den Arbeitslosen in den 1920er-Jahren vor allem um Ungelernte handelte, setzte sich die Fürsorgekommission dafür ein, dass möglichst viele Jugendliche eine Berufslehre ergriffen. 1920 übernahm sie von privater Seite die Berufsberatung für Schulabgänger, die ab 1932 für das ganze Amt zuständig war. Eine städtische Arbeitslosenkasse, vorerst auf freiwilliger Basis, wurde 1929 eingerichtet und von Bund, Kanton und Gemeinde subventioniert. Zuvor hatten Firmen Beiträge an einen kommunalen Solidaritätsfonds gezahlt, aus dem den Arbeitslosen Unterstützung gewährt wurde. 1932 wurde die Arbeitslosenkasse obligatorisch. Arbeitsprogramme für Sozialhilfebezüger bietet die Stadt bis in die Gegenwart an.76
Kochnische in der Gesamtküche des ehemaligen Hotels Viktoria-Baumgarten, 1940er-Jahre. Die Stadt reagierte zu jener Zeit auf die Wohnungsnot, indem sie ehemalige Hotels mietete und dort ärmere und kinderreiche Familien unterbrachte.
31 Familien teilten sich die Zimmer des Hotels Viktoria-Baumgarten. Pro Etage gab es eine gemeinsame Toilette und pro Familie eine Kochnische in der Gesamtküche im Parterre.
Damit Frauen aus den unteren Schichten einer Arbeit ausser Haus nachgehen und so zum Familieneinkommen beitragen konnten, eröffnete Thun 1883 eine Kinderkrippe. Deren Vermögen wurde 1918 in die Stiftung Kinderkrippe Thun überführt, welche die Burger- und die Einwohnergemeinde aus dem Legat über 10000 Dollar von Marie Elise von Zedtwitz eingerichtet hatten. Die Stiftung betrieb auch einen Hort für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren. 1920 entstand eine neue Kinderkrippe am Hopfenweg. 1961 nahm im ehemaligen Hotel Du Parc an der Hofstettenstrasse eine Krippe für Kinder von italienischen Fremdarbeitern den Betrieb auf. In den 1990er-Jahren fehlten in Thun Krippenplätze, weil immer mehr Mütter – insbesondere gut ausgebildete – einer Erwerbsarbeit nachgingen. Weitere private Krippen wurden eingerichtet, die Stadt unterstützte sie teilweise finanziell.77